Roy Jones Jr. und die verpassten Ausfahrten
”Mein Gott, wie kann einer so gut sein?”, diese Frage stellte ich mir immer und immer wieder, als ich in den 1990er Jahren erstmals Roy Jones Jr. boxen sah. Er hatte wirklich das Zeug, einer der größten Boxer aller Zeiten zu werden, vielleicht sogar ein zweiter Muhammad Ali. Seine Geschwindigkeit, diese wahnsinnige Dynamik und unfassbare Technik. Er war ein boxender Halbgott, ein Phänomen und ein Idol für so viele nach ihm kommende Boxer in aller Welt. Überall in aller Welt sprach man von der Box-Sensation aus den USA.
”Mein Gott, wie kann einer so gut sein?”
Doch Jones Jr. verpasste den richtigen Moment aufzuhören und demontierte einen echten Mythos – sich selbst. Er büßte durch Fehler zuviel Qualität ein, anders als ein Gennady Golovkin, der selbst im hohen Alter noch gute Leistungen zeigte, aber dessen Stern im Moment auch zu sinken beginnt. Doch das ist eine andere Geschichte.
Verpasste Ausfahrt
Manche meinen, dass der Fehler von ”Superman RJ”, wie Jones Jr. auch genannt wurde, der Wechsel ins Schwergewicht war, der ihm einfach zu viele Körner gekostet hatte. So paradox es auch klingt, sein Abstieg begann mit dem Gewinn des Weltmeistertitel gegen John Ruiz, einem der vielleicht schwächsten Schwergewichtsweltmeister der letzten 50 Jahre, den Jones 2003 locker nach Punkten bezwang. Er ließ Ruiz in dem Kampf ganz alt aussehen und die Fans wurden einmal mehr in ihrer Meinung bestätigt, dass Jones der größte Boxer zu jener Zeit war. Andere hielten ihn für noch größer als Ali. Eigentlich hatte Jones den Plan gehabt, seine Karriere nach einem Kampf gegen Mike Tyson zu beenden, aber zu diesem Aufeinandertreffen sollte es leider nie kommen. Leider. Als einer der besten Boxer der Weltgeschichte, verpasste er eine Ausfahrt nach der anderen, um auf dem Höhepunkt seines Zenits aufzuhören.
Als er einige Monate nach seinem Titelgewinn im Schwergewicht wieder ins Halbschwergewicht zurückwechselte, um erneut in seiner angestammten Gewichtsklasse den Titel zu gewinnen, war nichts mehr, wie es einmal war. Er musste für den Kampf gegen Weltmeister Antonio Tarver sehr viel Gewicht machen. Er hatte sich fürs Schwergewicht einiges angefuttert. Fachleute bewerteten sein Vorhaben schon zu jener Zeit als einen unklugen Plan und sie sollten, auch wenn nicht sofort, recht behalten.
Sieg und Niederlage nach Rückkehr
Doch Jones schrieb am 8. November 2003 zuerst noch einmal Box-Geschichte, als er die Halbschwergewichts-Weltmeisterschaft nach den Versionen der WBC, WBA und der unbedeutenden IBO gewann. Allerdings war das Urteil mehr als umstritten und so sollte es 2004 zum zweiten Aufeinandertreffen zwischen Jones und Tarver kommen, einem Kampf, der, wie man heute weiß, ein weiterer, noch größerer, Fehler von Jones war.
Zerstörung eines Mythos
Am 15. Mai 2004 kam es zum Rückkampf gegen Tarver und zur Zerstörung eines Mythos.
Tarver gewann gegen den bis dahin als unbesiegbar geltenden Jones überraschend durch KO in der zweiten Runde und holte sich die Titel wieder zurück. Danach ging es mit Jones steil bergab. Die Niederlage gilt als entscheidender Wendepunkt im Leben des einst so fantastischen Boxers, der 1969 in Pensacola/ Florida geboren wurde. Er wirkte in vielen Kämpfen danach ausgelaugt, als hätte jemand seinen Stecker raus gezogen.
Manche sagten, dass er dem Teufel für die Erfolge in seiner Prime seine Seele verkauft hatte und danach den Preis zahlen musste. Tatsächlich stand nur noch ein Abbild von jenem Mann im Ring, den ich sehr bewunderte.
Jones gewann auch immer wieder gegen zweitklassige Gegner Kämpfe und sein aktueller Kampfrekord von 66 zu 9 Siegen ist immer noch überragend. Und heute noch erzählen sich die Leute viele tolle Geschichten über den früheren Superstar, als er in der 1990er Jahren überirdische Leistungen zeigte. Aber gerade seine Hardcore-Fans verschließen bis heute noch die Augen vor seinem späteren Abstieg. Sie wollen es nicht wahrhaben, dass Jones Jr. seinen Mythos unnötig zerstörte. Nicht mit der Niederlage gegen Tarver, sondern weil er erst 2018 die Boxhandschuhe an den Nagel hing und bis zuletzt einem Traum aus längst vergangene Zeiten nachjagte.
Verbissen und verheizt
Trotzdem sollte man große Ehrfurcht vor diesem Mann haben, weil er nie aufgab, auch wenn er seine Fehler teuer bezahlen musste. Es ist ein allzu menschlicher Fehler, sein Maß nicht zu erkennen und vielleicht war es ein noch größerer Fehler eines raffgierigen und schlechten Managements, die ihn Stück für Stück verheizt hatten. Mit Roy Jones Jr. konnte man sehr viel Geld verdienen. Aber gute Freunde und ein noch besseres Management hätten ihm schon vor 15 Jahren reinen Wein einschenken müssen, statt Honig um den Mund zu schmieren.
Leider gibt es auch keine schützende Weltbehörde, die einstigen Legenden wieder auf die Beine hilft und dafür sorgt, dass der Ruhm vieler toller Boxer auch zu Lebzeiten gewahrt wird. Ein schöner Traum, oder?
Es kommt einem immer noch wie ein ein böser Alptraum vor, wenn man “Superman” Roy Jones Jr. in seinen letzten Jahren im Ring vor Augen hat und mit jedem Schlag, den er kassierte, einem das Herz blutete und man leise vor sich her sagte:
“Hey Roy, es war schon 2004 Zeit für dich zurückzutreten. Verpass jetzt wenigstens nicht die letzte Ausfahrt”.
HIER KOMMENTIEREN
Text: Attila