Hallo und Frohes Neues Jahr, liebe Kampfsportfreunde!
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, mein sportliches Jahr einmal Revue passieren zu lassen. Als ich mein spätes Kyokushin Karate Training begann war nicht zu ahnen, wie sehr ausgerechnet Vollkontakt Karate mein Leben verändern würde.
Der euphorisch-idealistische Vollkontakt Karate Anfänger welcher fast abhob, weil er mit Weltmeistern trainieren darf und der voller Stolz immer seine neuesten Trainingserlebnisse erzählte, stellte sich dem Feuer seines ersten Vollkontakt Kumites und darf sich nun zu Recht als Schüler des Kyokushin Karate bezeichnen.
Dieses außergewöhnliche Abenteuer begann mit einem Interview des zweifachen K-1 Weltmeisters: Bülent Karaman vom gleichnamigen Team Karaman, aus Berlin. Die Umstände hierzu waren so ungewöhnlich wie interessant: Alle Absprachen für dieses Interview wurden via Soziales Netzwerk gemacht und auch sollte der Sportler nicht einfach nur stumpf auf einen Fragenkatalog antworten, nein, der Berichterstatter (ich) wurde eingeladen: Die Kampfsportwelt, einmal hautnah zu erfahren. In einer Kampfsportschule im Herzen von Berlin-Schöneberg, kam es dann für mich mit dreien der Karaman Brüder plus der Tochter von Meister Mutlu Tasev zu einem Sparring. Ein ganz erstaunliches Erlebnis, grade auch im Nachhinein, für das man mich unter Kollegen immer noch anspricht, weil ich danach vergessen hatte was ich eigentlich fragen wollte. Der zweifache Weltmeister war so freundlich und hat mich souverän durch das Gespräch geführt. Passiert nicht oft im Leben eines Berichterstatters.
Nach diesem ersten, kurzen Eintauchen in eine mir bislang völlig unbekannte Welt, stand ich komplett in Flammen. Drei Dinge waren bis hier hin schon klar, erstens: Kampfsportschulen sind keine Wellness Oasen, in denen man Strohalmgetränke aus Kokosnüssen schlürft und die neueste Spa-Mode auf dem Laufband vorführt. Anders ausgedrückt kann man bei Betreten einer Kampfsportschule den Eindruck gewinnen, einige Wände würden gleich Fäuste zur Welt bringen, während andere Wände vor Angst schwitzen und zitteFrn – soviel Adrenalin wird dort umgesetzt. Zweitens: Man muss die Atmosphäre so eines Ortes erst einmal aushalten können und einordnen, wenn man das nicht gewohnt ist. Natürliche Auslese. Will man sich mit aktiven Kämpfern auf ihrer Matte oder in ihrem Umfeld bewegen, muss man seinen Platz finden. Drittens: Wer nun aber von erfahrenen Kämpfern, tatsächlich, lernen will muss ihre Welt komplett betreten.
Bei Fragen zu Punkt drei, siehe Punkt eins.
Als ich mich noch fragte wie ich das wohl realisieren kann, machte mir Meister Tasev von der Sportschule Chikara ein Angebot – das niemand ausgeschlagen hätte: Er bot mir an einer seiner Schüler zu werden. Ich: Mit 40 Jahren. Nun muss man dazu wissen, das Meister Tasev aus seiner Sportschule bereits über 70 Weltmeister und unzählige Europa-, oder Deutsche Meister betreut und hervorgebracht hat. Das Kampfsporttraining hier findet mit Welt-, Europa-, oder Deutschen Meistern statt, entsprechend hoch ist das Leistungsniveau. Eine Aufgabe die ich am Anfang zunächst nicht vollständig einzuschätzen vermochte – ich bat um kurze Bedenkzeit und nahm an.
Sportler sind keine Politiker, daher möchte ich hier nur am Rande erwähnen, das die Sportschule Chikara seit über 20 Jahren Jugendliche mit Migrationshintergrund betreut und unterstützt – ganz ohne dieses überaus bemerkenswerte Engagement an die berühmte „große Glocke“ zu hängen oder gar damit zu werben. Ein eigentlich beschämendes Zeugnis für den Vorgang, welchen die Politik mit „Integration“ beschreibt und der über allem prangt, tritt man „von außen“ an dieses Thema heran. Politiker verwenden Wörter zumeist, grundsätzlich, im Sinne der lexikalischen bzw. rechtlichen Definition, nicht wie wir einfachen Menschen im Sinne der Bedeutung. Ein Politiker würde ungefähr folgendes sagen:
“Integration ist die Ausbildung einer Wertgemeinsamkeit mit einem Einbezug von Gruppierungen, die zunächst oder neuerdings andere Werthaltungen vertreten, oder einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit einem Einbezug von Menschen, die aus den verschiedensten Gründen von dieser exkludiert (ausgeschlossen) und teilweise in Sondergemeinschaften zusammengefasst waren.
Integration hebt den Zustand der Exklusion und der Separation auf. Integration beschreibt einen dynamischen, lange andauernden und sehr differenzierten Prozess des Zusammenfügens und Zusammenwachsens.“
Und? Irgendwas verstanden? Nicht? Eben. Integration kann nicht gesprochen, sie muss gefühlt, gewollt doch vor Allem: Gelebt werden. Gemeinschaftliche Aktivitäten schaffen dazu eine hervorragende Basis auf der kulturelle Unterschiede, ganz klar, in den Hintergrund treten und die Freude am Sport die Menschen miteinander verbindet. Das Miteinander schafft Brücken. Zu meiner großen Freude haben solche politischen Unachtsamkeiten das Geschenk an mich niemals überschattet. „Ein Fremder ist bloß ein Freund den ich noch nicht kenne.“ sagt ein altes Sprichwort.
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So wurde ich, der Deutsche, vollkommen selbstverständlich in die Gemeinschaft des Schöneberger Dojos aufgenommen. Es ist wie es bleibt:“Wie man in den Wald hineinruft, so hallt es heraus.“ – Politik könnte so einfach sein.
Meine Welpenphase im Kyokushin Karate, einer der härtesten Formen des Karate überhaupt, habe ich Euch in meinen vorherigen Berichten ausführlichst beschrieben. Durch mein Training konnte ich ebenfalls auch einen Einblick in die Organisation von Kampfsportveranstaltungen und allgemein in die Vorbereitungsphase von Kampfsportlern/innen bekommen. So kann ich mit einiger Sicherheit behaupten: So schön einfach, wie es dem Zuschauer präsentiert ist ist das Ganze nicht. Das ist von vorne bis hinten harte Arbeit. Mittlerweile trainiere ich nicht nur, sondern betätige mich in diesem Bereich mittlerweile als schreibender Reporter für ein multikulturelles Sportportal und kann auch beraterisch, im Bereich Presse- Öffentlichkeitsarbeit, also meinem eigentlichen Berufsfeld aushelfen. Sehr spannend, wie sich eine Situation entwickeln kann. Mit der Übernahme einiger dieser repräsentativen Tätigkeiten wird übrigens auch den letzten Unkenrufern, hinsichtlich meines Autoren-Alias:“Uchi Deshi“ (Meisterschüler), der Boden genommen. Einige beratungsresistente Zeitgenossen sind, nach wie vor, der festen Auffassung die Bezeichnung „Uchi-Deshi oder Meisterschüler“ bezöge sich nur auf die kämpferischen Qualitäten eines Schülers. Das ist ganz einfach falsch. Punkt.
Der Weg ist das Ziel. Der Weg das vollständige Verstehen/Durchdringen einer Sache.
Nach einer intensiven Trainingsphase, war ich beruflich eingespannt und auch der zum Jahresende bevorstehende „Battle of Berlin VI.“ haben meine Zeiten ganz schön durcheinander gewirbelt, so dass ich nur unregelmäßig Einheiten absolvieren konnte. Ehrlich gesagt ist ein Sparring gegen Sportler die sich in Höchstform, kurz vor einem Wettkampf befinden, für einen Anfänger nicht anzuraten, die Verletzungsgefahr ist hier noch zu hoch. Ich habe das gemacht und wurde durch einen 100kg Mann dreimal so derbe von den Beinen gerissen, das mir dieser Rat zusteht:“Freunde, das ist kein Spaß. Ich wiederhole: Kein Spaß. Überlegt Euch das gut.“ Ich habe diese Erfahrung später unter:“Abhärten unter Tränen“ verbucht – das war nicht mein erster Eintrag in dieser Zeile.
Ein aufregendes Wettkampfjahr näherte sich dem Ende, es wurde ruhiger im Dojo und ich ging auf Meister Tasev zu, um ihn zu bitten meine Prüfung in Kyokushin Karate abzunehmen. Der Ehrlichkeit halber gebe ich zu, mich bereits mehrfachst gefragt zu haben warum ich das eigentlich mache? Rein körperlich war mir aufgezeigt worden, das ich hier, außer Schmerzen eigentlich nichts abzuholen habe. Doch Kyokushin Karate hat sich als ein Weg für mich herausgestellt, auf dem ich meiner inneren Welt Ausdruck verleihen kann und über den ich mich selbst besser als jemals zuvor kennengelernt habe. Ja gut, zugegeben, eine kranke Welt. Doch ich gebe Euch mein Wort: Noch niemals habe ich mir selbst, der Welt oder anderen Fragen so klar gegenübergestanden, wie nach einer Runde „Arschvoll“. Damit ist für mich auch der Beweis für den eigenen inneren Schweinehund als unseren größten Widersacher erbracht worden.
Wieder einmal.
Mir wurde die Ehre zuteil am Prüfungskumite des Kyokushin Karate, der Sportschule Chikara Berlin e.V., teilzunehmen. Dort würden wir nun herausfinden aus welchem Holz ich gemacht bin. Der Termin stand also fest. Unverrückbar. Fest standen auch die technischen Daten:“10 x 1,5 Minuten Vollkontakt Karate“. Kneifen geht nicht mehr. Die Zeit zu verbringen in der Gewissheit meiner Erinnerungen an Erlebnisse aus vergangenen Trainigseinheiten, war eine echte Herausforderung. Wer Erfolg nicht denken kann, kann nicht gewinnen. Wochen vor meiner eigentlichen Prüfung, befand ich mich bereits mitten in meiner Prüfung. Die Zeit ging ins Land und mir wurde immer klarer, das ich rein gar nichts mehr an der Tatsache ändern konnte, egal wie oder was ich jetzt noch trainiere, das ich ein „Ouss!“ später „Das Land der Schmerzen“ betreten werde. Ja, ja. Alles nur in meinem Kopf. Doch: Angst ist ein sehr realer Gegner und hinterhältig noch dazu. Mit jedem Tag an dem sich der besagte Termin näherte, wuchs mein Aufwand mich mental zu de-eskalieren. Sowas wie einen „Happy Place“ kenne ich nicht. Typisch deutsch, übrigens. Dann war es soweit. Der Tag der Tage. Eigentlich hatte ich gehofft er würde, wie durch Zufall, aus dem Kalender verschwinden – dann würde ich aufwachen und lachen.
Von wegen.
Meine Tasche war seit Tagen fertig gepackt, doch ich musste die letzten vier Tage immer wieder nachsehen, ob ich auch ja nichts vergessen habe. Aufgeregt? Auf Youtube habe ich versucht mir Videos von spielenden Kaninchenbabies anzuschauen. Soviel dazu. Wie geht das bloß so Weltmeistern wenn die in der Kabine sitzen? Geht denen auch so die Hose? Meine Mit-Prüflinge und die Angreifer treffen ein. Nachdem ich meine Fäuste getapt habe, mache ich mich warm. Wann genau wer an der Reihe ist erfahren wir als Meister Tasev die Prüfung eröffnet. Vor mir werden zwei Gelbgurte Stufe 2 auf Orangegurt Stufe 1, geprüft. Die Anspannung in mir ist kaum noch zu ertragen. Als ich sehe, wie sehr die beiden „geprüft“ werden, wird mir schlecht. Die beiden grüßen ab. Sie haben es geschafft! Andere würden nun in ein Krankenhaus fahren, die beiden lachen und sprühen sich mit Eisspray die gepeinigten Oberschenkel ein. Jetzt bin ich an der Reihe. Als ich vor die Bank trete und Meister mir viel Erfolg wünscht, könnte ich brechen, so aufgeregt bin ich inzwischen.
„10 x 1,5 Minuten. Oss! Wer mit dem Teufel tanzt, muss tanzen bis die Musik zu Ende ist.“ Bestes Preussen Karate. Ich bin unbeweglich wie ein Baum. Komme direkt von vorn. Finten, Ausweichen? Fehlanzeige. Ich kämpfe frontal und stecke natürlich richtig ein. Dazu muss man hart sein. Sehr hart – nicht wie ich. Solche Schmerzen! Meine Fresse. 25 Minuten purer Willenskampf, fünf Lebertreffer, sechs Niederschläge, sechs Mal aufheben, sechs Mal hinstellen, sechs Mal den Kampf wieder aufnehmen. Weiterkämpfen – niemals aufgeben. Unzählige Aufgabegedanken und eben so viele Zusprüche. So etwas habe ich noch nie in meinem Leben durchlebt. Immer wieder muss ich unter Schmerzen in die Bewegung zurückfinden, während unablässig Schläge auf mich niederprasseln und mich immer wieder in die Kniee zwingen. Was ich tue? Ich habe keine Ahnung.
Dann ist es endlich vorbei.
Körperlich vollständig zerstört, mit blutigen Fäusten und leicht orientierungslos, richtet man meinen Gi und dreht mich um. Ich stehe vor der Bank meiner Prüfer und erwarte das Urteil von meinem Meister. „Herzlichen Glückwunsch, Sven. Gut gemacht.“
Humpelnd trete ich vor, nehme seine Hand und bedanke mich.
„Es gibt Tage des Kampfes und es gibt Tage der Freude und des Feierns.“
Die Zwischenstufe Weissgelb-Gurt, wäre in meinem Fall zulässig gewesen und eigentlich war ich auch in der Erwartung von Weissgelb. Ein Weißgelb Gurt ist schon mal voll krass unterwegs. Ein paar Tage später jedoch, das Adrenalin war wieder auf ein normales Maß zurückgegangen, wurde mir vor den Mitgliedern der Sportschule Chikara Berlin e.V., aus der Hand von Meister Mutlu Tasev, 5.DAN (Godan) mein erster Gürtel im Kyokushin Karate verliehen, der:
10. Kyu – Gelbgurt / Stufe 1.
Keine Zwischenstufe, sondern die volle Farbe – Eine große Ehre.
Das war mit Abstand ein Erlebnis das seinesgleichen sucht und egal wie gut oder wie schlecht meine Leistung in den Augen anderer auch bewertet werden mag – diesen Tag, diesen Sieg über mich selbst, den nimmt mir keiner. Der Wille entscheidet. Auf weitere heroische Beschreibungen meiner Leistungen wird verzichtet. Das Kumite gibt’s auf Youtube.
Osu.
Euer Uchi Deshi.
Wie es weitergeht? Das erfahrt Ihr nur hier – auf German Fightnews