Andy Ruiz Jr. neuer König des Schwergewichts!

Ein Hauch von Mike Tyson wehte vergangene Nacht durchs legendäre Madison Square Garden, dem sportlichen Wahrzeichen der Weltmetropole New York City. Ein nicht austrainiert wirkender US-Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln betrat erstmals die ganz große Bühne des Boxens, um Geschichte zu schreiben. Sein Name: Andrés Ponce Ruiz Jr. oder wie eingefleischte Boxfans ihn kennen: Andy ”The Destroyer” Ruiz Jr.. Seinem Kampfnamen (dt. der Zerstörer) konnte Ruiz Jr. voll und ganz gerecht werden, als er vergangene Nacht den zuvor als übermächtig geltenden Briten Anthony Joshua in der siebten Runde auf die Bretter schickte, damit die ganze Welt schockte und sich heute Weltmeister der Verbände IBF, WBA, WBO und IBO nennen darf.
Gutes Boxen alter mexikanischer Schule
Womit viele im Vorfeld nicht gerechnet hatten: Ruiz kann technisch richtig gut boxen und auch ordentlich zuschlagen, zumindest wenn es der Gegner zulässt. Anthony Joshua, kurz AJ, ehemals ein Drogendealer aus London, der vom Leben eine zweite Chance bekam und sich mit seinem Sieg 2017 gegen den damals 42-jährigen Wladimir Klitschko unsterblich machen konnte, nahm den 10 Zentimeter kleineren und mit sogar 20 Zentimeter kürzerer Reichweite benachteiligten Herausforderer nicht richtig ernst. Doch von der ersten Runde an zeigte ”The Destroyer” gutes Boxen alter mexikanischer Schule. Was ihm viele aufgrund seiner untersetzten Figur auch nicht zugetraut hatten war, dass er richtig schnell ist und dazu ein großes Repertoire an Schlägen und Kombinationen beherrscht, deutlich mehr als ein bekanntlich ”eindimensional” boxender Joshua, der in der Regel mit der Führhand vorbereitet und mit der Schlaghand abschließt, verständlicherweise seinen Größenvorteil ausnutzt, dabei selten technische Schmankerl oder gekonnte Kombinationen zeigt. Damit konnte der Ex-Weltmeister bis zur vergangenen Nacht alle seine 23 Gegner seiner Karriere besiegen und 22 gar ausknocken – durch pure brachiale Kraft und der im Schwergewicht besten Athletik.
Die kleine Mike Tyson-Show
Doch was schon früher hier und da immer wieder auffiel, nämlich dass der Sohn nigerianischer Einwanderer schnell übersäuert und keine Nehmerqualitäten haben könnte, wurde gegen Ruiz Realität. Zwar schickte er Ruiz selbst in Runde drei auf die Bretter und war sich in diesem Moment seiner Sache so ziemlich sicher, doch hatte er nicht mit dem Kämpferherz des etwas drollig aussehenden Herausforderers gerechnet. Dieser stand unbeeindruckt auf, schüttelte sich kurz und legte dann eine kleine Mike Tyson-Show hin. Zweimal schickte er nun seinerseits den Weltmeister auf den Boden der Tatsachen, der es auf wackeligen Beinen und mit glasigem Blick nur mit Mühe und Not in die Rundenpause zur vierten Runde schaffte. Ruiz hatte längst Blut geleckt und wirkte in seiner jetzt noch motivierter arbeitenden Ecke richtig frisch, als habe der Kampf erst da für ihn begonnen.
Dimitrenko ungeahnt perfekter Vorbereitungsgegner
Man muss aber wissen, dass der mexikanische Amerikaner erst kürzlich am 20. April gegen den Hamburger Alexander Dimitrenko geboxt hatte. Ruiz Jr. gewann durch Aufgabe des gebürtigen Ukrainers, der einst als der legitime Nachfolger der Klitschkos galt und technisch mit den beiden erfolgreichen Brüdern gar mithalten konnte und aktuell in seiner zuvor als gescheitert geltenden Karriere, einen zweiten Frühling erlebt.

Stilistisch und mit seinen 2,01 m Körpergröße mag Dimitrenko, ohne das es Ruiz vorausahnen konnte, der perfekte Vorbereitungsgegner gewesen sein, denn als kommender Contender galt Ruiz nach seiner Niederlage 2018 gegen Joseph Parker vorerst nicht. Da wollte er sich wieder hinarbeiten. Es heißt ja nicht umsonst ”Unverhofft kommt Oft” und so bekam er kurz vor seiner Ruhephase die Chance seines Lebens, als er den Kampf ersatzweise annahm, weil der eigentliche Gegner von Joshua, Jarrell Miller, zum zweiten Mal in seinem Leben des Dopings überführt wurde – erstmals übrigens 2014 als Kickboxer.
AJ paralysiert und geschockt
Die Dinge nahmen in den folgenden Runden ihren Lauf. Joshua versuchte unbeeindruckt zu wirken und weiterhin seinen kleineren Gegner vorzuführen, der seinen Stiefel weiter durchzog und in Runde sieben mit einem ”Finale Grande” zu Ende brachte, nämlich wieder da, als Joshua einen Punch anbringen konnte und noch nicht von der dritten Runde geläutert, wieder ungestüm nachsetzte, um dann ein blaues Wunder zu erleben. Ruiz konterte den Engländer erneut, diesmal gar nicht so hart wie vier Runden zuvor, aber ausreichend, um den ausgelaugten Joshua noch zweimal auf die Bretter zu schicken. Nachdem zweiten Mal brach der Ringrichter folgerichtig ab, als ”AJ” paralysiert war und nicht mehr den Anweisungen des Unparteiischen Folge leisten konnte. Stattdessen versuchte er hilfesuchend mit seiner Ecke Blickkontakt herzustellen. Als der Ringrichter abbrach, war der Joshua kurz geschockt aber nahm letztlich das Urteil an.
Vom Vorstadt-Gangster zum Gentleman
Anschließend zeigte er, dass aus dem englischen Vorstadt-Gangster von einst ein wahrer britischer Gentleman geworden ist, der sich aber seine Gürtel bald wieder zurückholen will – wahrscheinlich dann wieder in Großbritannien, in seinem Wohnzimmer im Wembleystadion. Sein US-Debüt ging zumindest ordentlich in die Hose und man fragt sich, ob er in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten so schnell zurück kommen will, wo er seine Grenzen aufgezeigt bekam und erfahren musste, dass er etwas mehr tun muss, als er bislang in seiner Karriere gezeigt hatte.
Der Sieg einst gegen Klitschko, dem Dominator früherer Tage, hatten ihn und seine Anhängerschaft blind werden lassen. Im Taumel des Glücks wurden vor seinen Defiziten die Augen verschlossen, die immer schon da waren, die aber ”Box-Opa” Wladimir Klitschko nicht ausnutzen konnte, obwohl er selbst Joshua einst am Boden hatte. Nachdem der Ukrainer jetzt gesehen hat, wie man gegen AJ (leicht) gewinnen kann, dürfte er sich über die vertane Chance von 2017 mächtig ärgern und vielleicht den Gerüchten um ein Comeback Nahrung geben und wirklich wieder zurückkehren.
Rückkampf im September?

Jetzt warten die Fans auf den Rückkampf zwischen Joshua und Ruiz, der vielleicht Ende September, Anfang Oktober kommen könnte, dann, wenn die Blätter langsam gelb werden, die Vorboten des Winters sich ankündigen und die Zeit (fast) alle Wunden geheilt hat und Joshua über drei Monate Zeit hatte, sich über seinen verkorksten Auftritt in New York Gedanken zu machen, um daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Aber wenn man genauer darüber nachdenkt, dann sollte es besser zu Weihnachten passieren. In einem kalten England, rau und hart, so wie seine Schlaghand normalerweise auf seine Gegner niedergeht, um sich seiner selbst wieder klar zu werden und welche Gefahr er läuft, eine große Karriere wegzuwerfen, wenn er nicht ernsthafter boxt, mit zwar geringen Mitteln, aber die, die er besitzt, immer noch verdammt stark sind, allen voran der monströse Punch, mit dem er Elefanten umhauen könnte, der ihn vielleicht in naher Zukunft wieder auf den Thron zurückbringt, um dann einen ganz großen Kampf gegen Deontay Wilder oder Tyson Fury in Angriff zu nehmen.
Boxen hat Stück seiner Seele zurück
Vor Andy Ruiz muss sich die Boxwelt tief verneigen und sich bei ihm bedanken. Der mexikanische Amerikaner hat dem Boxen ein großes Stück seiner Seele zurück gegeben und die Fans endlich wieder Boxen erleben lassen, wie er früher populär war:
Klassisch und manchmal im mexikanischen Stil.
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A.Revada